Der Journalist Max Lebsanft war mit ZimRelief im September 2010 in Simbabwe und hat über diese Zeit eine spannende Reportage geschrieben. Darin beschreibt er vor allem über seine Eindrücke des Townships Hopely, in dem auch unser Partnerprojekt Vision & Hope arbeitet:
„Mit einem rostigen Peugeot fahren wir hinaus in das Township Hopley im Süden Harares. Bäume gibt es hier so gut wie keine. Kilometerlang liegen die einstöckigen Lehmhütten in der kargen Steppe. Verdorrtes Gras trotzt der Trockenheit. Hier und da haben die Bewohner im Schutz der Hütten kleine Gärten angelegt, in denen sie Kohlrabi und Tomaten züchten. Unablässig bläst der Wind den Sand über das flache Land. Die Sandkörner setzen sich fest in den Kleidern der spielenden Kinder und verkleben ihnen die Gesichter.
Wir sind auf dem Weg zu einer Schule, die uns Godfrey Mungazi zeigen möchte. Einer seiner Freunde…
… hat sie im März zusammen mit 14 Lehrern gegründet – mitten in einem der ärmsten Stadtteile Harares. Die lokale Hilfsorganisation „Vision & Hope Foundation“, die Godfrey 2003 ins Leben rief, unterstützt die Schule mit Workshops zur Aids-Aufklärung. Außerdem hat sie mit Hilfe „ZimReliefs“ einige hundert Schulhefte, Stifte, Aufklärungsbroschüren und Schiefertafeln gekauft. Zusammen mit den Gästen aus Deutschland soll heute die feierliche Übergabe der Geschenke stattfinden.
Die Schule trägt den Namen „Rising Star“ und ist nicht mehr als ein Bretterverschlag. Das Dach besteht aus einer dicken Plastikplane, die im Wind hin und her schlägt. Rund 600 Schüler werden hier unterrichtet. Viele sind an diesem Morgen gekommen. Barfuß und mit abgewetzten Kleidern sitzen sie auf dem Sandplatz vor dem Pavillon. Stühle und Bänke gibt es nur eine Hand voll.
Viele Bewohner Hopleys sind Flüchtlinge: Ursprünglich lebten sie in zentraleren Vierteln der Stadt. Als Polizei und Militärs ihre Wohnungen im April 2005 einrissen, flohen sie an den Stadtrand und bauten sich auf dem Gelände ehemaliger Farmen ein neues Zuhause auf. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Präsident Robert Mugabe und sein Regierungszirkel die gnadenlose Operation „Murambatzvina“ („Müllentsorgung“) anordneten, um die aus allen Nähten platzenden Armenviertel Harares gewaltsam zu begrenzen und politische Gegner einzuschüchtern.
Die blutigen Aktionen dauerten zwei Monate. Mehr als 300000 Menschen verloren ihre Häuser. Die Zahl der Toten ist bis heute unbekannt.
Einer der Vertriebenen ist JoJo: Der 26-Jährige wohnt zusammen mit seinen Mutter, dem Bruder und seiner Frau nicht weit von der Schule. Zur Zeit hat er keinen Job. Wie die meisten lebt er von Gelegenheitsarbeiten und dem, was in den Gärten wächst. Strom und fließendes Wasser gibt es in Hopley nicht – nur einige Bohrlöcher, die bis zu zehn Meter in die Tiefe reichen. Den Strom für sein Mobiltelefon, einen kleinen Fernseher und ein Radio bezieht Jojo aus einer Autobatterie. Fünf Tage reicht ihm die Batterie, sagt er. Dann lädt er sie mit Hilfe eines Dieselmotors auf. Auch in den Slums Harares ist die moderne Informationstechnologie angekommen.
Nach der Übergabe der Geschenke führt uns der Schuldirektor Samson Kuzembe über das Gelände der Schule: Zwei Dollar müssen die Schüler für das dreimonatige Semester bezahlen. Vielen Eltern ist selbst das zu viel. Wer nicht zahlen kann, darf als Ersatz Ziegelsteine mitbringen. Direkt neben dem Pavillon entsteht das neue Schulhaus. Ein einstöckiger Lehmbau. Der Maurer arbeitet mit getrockneten Ziegeln. 1000 Stück kosten 30 Dollar. Gebrannte Steine kann sich die Schule nicht leisten. Ein Vertreter der Schulbehörde war bereits da: Er hat bemängelt, dass das Gebäude instabil sei und den staatlichen Vorgaben nicht genüge. Trotzdem wird weitergemauert: Im November beginnt die Regenzeit. Hopley verwandelt sich dann für Monate in eine Schlammwüste. Wenn es bis dahin keine regensicheren Räume gibt, muss die Schule schließen.
„Die Arbeit ist bei diesen Verhältnissen oft schwierig, aber man kann auch mit wenig Mitteln unglaublich viel bewegen“, sagt Bastian Mögele. Vor drei Jahren hat er zusammen mit Geraldine Quelle die deutsche Hilfsorganisation „ZimRelief“ gegründet. Er hat viele der Elendsviertel Harares besucht. Hopley, sagt er, sei kein Einzelfall. Wer vom Stadtkern in die Randbezirke fährt, sieht überall das gleiche Bild: endlose Barackensiedlungen; spielende Kinder mit sandigen Gesichtern; Mütter, die ein paar Früchte zur nächsten Straßenkreuzung tragen, um sie dort zu verkaufen; abgemagerte Männer, denen die Krankheit „Aids“ tiefe Furchen ins Gesicht gegraben hat.
Einige Tage nach unserem Besuch in Hopley lassen wir die Stadt hinter uns, um auf die Felsen von Domboshava zu klettern. Jojo begleitet uns. Wie ein aufgebauschtes Tuch liegt der glatte Felsenberg in der Landschaft. Eine Welle aus Stein, flach genug, um ohne Zuhilfenahme der Hände hinauf zu steigen. In einer halben Stunde haben wir den Berg überquert. Auf der anderen Seite haben die Menschen der Vorzeit auf der Wand eines Überhangs die Tiere verewigt, die sie jagten und vergötterten. 13000 Jahre sind die Malereien alt. Wir sehen die Abbilder von Elefanten und Gazellen, die in einem Jahrtausend lebten, als das Land noch dünn besiedelt und die Natur noch voller Geister war.
Auf dem Gipfel und in der Abendsonne beschwört Jojo die Gespenster seiner eigenen Biographie: Es war ein Sonntagmorgen, als das Unglück über seine Familie hereinbrach. Ohne Vorankündigung stürmten Polizisten ihr Zuhause im Township Hatfield. Nur das Kochgeschirr und einige Möbel konnten sie noch retten. Nachbarn, die ihre Häuser verteidigen, wurden niedergeschlagen. Manche starben an ihren Verletzungen. Jojos Familie hatte Glück – alle kamen mit dem Leben davon. Die ersten Wochen nach dem Unglück schliefen sie im Freien. Anfang 2006 zogen sie nach Hopley.
Während der Präsidentschaftswahlen 2008 brach erneut eine Welle der Gewalt über Simbabwe herein: Die Regierung ließ Anhänger der Oppositionspartei MDC verfolgen. Dennoch gelang es dem Oppositionsführer Morgan Tswangirai, Premier zu werden. Seitdem regieren die beiden großen Parteien MDC und ZANU-PF zusammen.
Neben der politischen Erneuerung, die langsam Formen anzunehmen scheint, wächst auch die Wirtschaft wieder. 2009 löste der US-Dollar den Simbabwe-Dollar als Landeswährung ab. Die Regale der Supermärkte sind seither wieder gefüllt. Und in den Autowerkstätten wird wieder gearbeitet. Wie die meisten seiner Landsleute sagt Jojo deshalb, dass es aufwärts geht. Wie die meisten fügt er allerdings hinzu, dass die Dinge sich viel zu langsam verändern. Noch gibt der alternde Mugabe das Zepter nicht aus der Hand. Solange er aber an der Spitze des Regimes steht, trauen nur wenige der Ruhe. Hilfe von dem völlig verschuldeten Staat erwarten die Bewohner Hopleys ohnehin nicht. Die Schule für ihre Kinder bauen sie deshalb selbst.“
Max Lebsanft während seines Simbabwe Aufenthaltes 2010, rechts außen Jojo